Die Grottenbahn


Bei Kriegsende ausgebombt begannen die Linzer, trotz Hungers und Mangels an Baumaterial, 1947 mit ihrem Wiederaufbau. Gertrud Bauer war dabei.

Ihren ursprünglichen Zweck mussten die Wehrtürme auf dem Pöstlingberg glücklicherweise nie erfüllen. Nach den Napoleonischen Kriegen hatte Erzherzog Maximilian d'Este eine Verteidigungsanlage rund um Linz errichtet. Sechs dieser Wehrtürme befinden sich auf dem Pöstlingberg. Seit ihrer Fertigstellung im Jahr 1828 dämmerten sie in einer Art Dornröschenschlaf vor sich hin. Solange, bis im Jahr 1898 die städtische Tramway- und Elektrizitätsgenossenschaft die "steilste Bergbahn Europas" auf den Hausberg der Linzer in Betrieb nahm. Im selben Jahr öffnete auch das Hotel Pöstlingberg seine Pforten. Die Idee entstand, in einem der Rundtürme eine Fremdenverkehrsattraktion einzurichten.

Der erste Drachenexpress

Die Gesellschaft kaufte die Türme, die alle weibliche Vornamen tragen, und baute einen von ihnen als Bergbahnhof aus. Im Beatrixturm richtete die ESG die "alte Grottenbahn" ein. Zum ersten Mal drehte 1906 der "Drachenexpress" seine Runden, beleuchtet von hunderten bunter Glühlampen. Die Figuren der Märchengruppen waren jedoch nicht besonders dauerhaft ausgeführt. Es waren Stoffpuppen, von einem Bildhauer mit gipsernen Köpfen und Gliedmaßen ausgestattet. Erst im 20. Jahrhundert waren die Wehrtürme von Kampfhandlungen betroffen. Im letzten Kriegsjahr schlug bei einem Fliegerangriff auf Linz eine Bombe in den Märchenturm ein. 1945 lag der Turm bis auf die Außenmauern in Schutt und Asche. Die ESG (die heutige Linz Linien GmbH) engagierte Keramiker

Wenn die Linzerin Gertrud Bauer heute die Grottenbahn auf dem Pöstlingberg besucht, gehört sie zu den aufmerksamsten Gästen. Die Märchenfiguren sind für sie "gute alte Bekannte", viele von ihnen hat sie selbst entworfen und modelliert. Ihr Lebensweg war lange Zeit eng mit dieser Welt der Märchen und Zwerge verbunden. Gertrud Bauer gehört zu jener Gruppe von Kunsthandwerkern, die im Auftrag der ESG die verlorene Kinderwelt in ihrem alten Glanz wiedererstehen ließ. Die akademische Keramikerin Friederike Stolz leitete das Team. Die ESG beauftragte sie mit dieser Arbeit, da ihr Vater jener Bildhauer war, der bereits die Figuren im zerstörten Märchenturm geschaffen hatte.

Fixanstellung mit Familienanschluss

"Ich sei doch eine gute Keramikerin? Mit dieser Frage überraschte mich Frau Stolz eines Tages bei einer zufälligen Begegnung auf der Straße und bot mir die Mitarbeit an", erinnert sich Gertrud Bauer. "Natürlich war ich von dieser Aufgabe begeistert. Darüber hinaus war es eine Fixanstellung mit allen sozialen Rechten, in der Nachkriegszeit ein Geschenk des Himmels und ich sagte auf der Stelle zu." Während Arbeitskräfte der ESG mehr als zwanzig Lastwagen voll Trümmer abtransportierten, begannen acht Keramikerinnen und Zeichner mit der Arbeit an den Figuren. Das Atelier befand sich in der Harruckerstraße in Urfahr. Obwohl die Plastiken innen hohl sind, war der Bedarf an Ton groß. Zwei bis dreimal in der Woche wurde die notwendige Menge mit einem Auto angeliefert.

Zwerge und Märchenfiguren

"Die großen menschenähnlichen Figuren, wie Schneewittchen oder die Räuber, modellierten wir im Ganzen. Wenn sie lederhart waren, schnitten wir im Rücken eine Art Türl heraus. Mit einer Metallschlinge höhlten wird die Figuren aus, schlossen die Öffnung wieder und glätteten mit feuchtem Ton die Oberfläche." Trotz dieser Maßnahmen waren die Plastiken sehr schwer und zu groß für den Brennofen. Für dieses Problem fanden die Keramikerinnen eine simple Lösung. Sie durchschnitten die Figuren in der Taille und brannten sie in zwei Arbeitsgängen. Sorgfältige Arbeit war oberstes Gebot. "Wir mussten aufpassen, dass wir nicht kleine Luftbläschen einkneteten, sonst hätten sie den Brennvorgang nicht heil überstanden". In der Grottenbahn setzten Maurer der ESG die Märchengestalten wieder zusammen. Die Künstlerinnen bemalten sie an Ort und Stelle mit dauerhafter Ölfarbe.

Vorbilder aus dem Leben

Im Atelier entstanden die Figuren meist aus der Erinnerung an die Märchen ihrer Kindertage. Selten arbeiteten die Keramikerinnen nach lebenden Modellen. "Der Lehrjunge, der bei `Dornröschen' vom Koch an den Ohren gezogen wird, für ihn hatte ich ein Modell. Ich bat einen Kollegen diese Position einzunehmen und schon ging es los." Auch der Pudel von Friederike Stolz ist in der Grottenbahn "verewigt". Axel war das Maskottchen der Gruppe und eines Tages hatte Gertrud Bauer eine Idee. "Da ich manchmal mit ihm äußerln ging, bildete ich ihn so ab, wie ich ihn gut kannte: mit erhobenem Haxerl. Die fertige Tonfigur ist dann allerdings etwas unsicher auf seinen drei Beinen gestanden. So lehnten wir ihn bei `Hans im Glück' kurzerhand an die Hausmauer an."

Der Linzer Hauptplatz in Miniausführung

Bei der Darstellung der Märchenbilder hatten die Kunsthandwerker freie Hand. "Der Koch in der Zwergenküche bekam von mir eine Schüssel in die Hand, aus der er gerade Schlagobers nascht. Wir wollten alles lustig gestalten und zum Lachen anregen. Die Kinder sollen sich nicht fürchten, sondern an den Märchenszenen Freude haben." Im unteren Geschoß des Turmes ist der Linzer Hauptplatz im Modell 1:7 nachgebaut. Die Modelle entwarf Friederike Stolz nach den Original-Altstadthäusern. "Von den Geschäftsleuten haben wir für die Auslagen der Läden die notwendigen Produkte bekommen, oft in einer Miniaturausgabe. Auch heute noch, bei den Frühjahrsputzarbeiten nach der Winterpause, werden die Schaufenster neu dekoriert. Die Zusammenarbeit war immer gut, denn für die Inhaber der Hauptplatzgeschäfte ist die Grottenbahn eine willkommene Reklame. "

Selbstporträt mit Brille

Unter dem Sternenhimmel des Grottenbahn-Hauptplatzes setzte sich Friederike Stolz ein Denkmal. Eine der aus einem Stockwerk auf die Besucher blickenden Hausbewohnerinnen ist ein Selbstporträt der Künstlerin. Als "Fensterguckerin mit Brille" wacht die Keramikerin noch heute über ihr Lebenswerk. Zur Belebung des Miniaturhauptplatzes modellierten die Künstlerinnen fast lebensgroße Figuren stadtbekannter Händler. Ein Würstelmann wärmt seine Frankfurter, zwei Marktfrauen in Mühlviertler Tracht bieten auf einem Handkarren ihre Waren feil. "Als Vorbild diente mir eine Marktstandlerin. In meiner Kindheit saß diese am Brückenkopf in Urfahr. Ihre behäbige Art, wie sie das Geldtascherl umgehängt hatte und auf Kundschaft wartete, beeindruckte mich sehr." Auf den Weg ins Atelier kaufte Gertrud Bauer auf dem Urfahrer Grünmarkt ein Häuptel Salat, Gurken oder eine Ente, um sie in Ton nachzubilden. "Wir gestalteten die Nahrungsmittel so naturgetreu wie nur möglich, damit in der Grottenbahn alles lebensecht wirkt."

Eskimokälte

Bei den großen Figuren kam eine andere Technik zur Anwendung. Sie bestehen aus einem Holzgerippe, das seine Form durch ein Drahtgitter erhielt. Die Körper sind aus in Leim getauchter Jute gebildet. Nach dem Trocknen begann die Feinarbeit. Die Oberfläche wurde glatt gestrichen, die aus Ton geformten Köpfe und Gliedmaßen aufgesetzt und die Ansatzlinien unsichtbar gemacht. "Die Bären und die Tiger entstanden auf diese Weise, aber auch der Rübezahl. Im Turm führten wir die Aufstellungsarbeiten durch. Die dicken Mauern hielten auch die größte Sommerhitze ab. Wir froren wie die Eskimos." In den Pausen wärmten sich alle im Wehrgraben wieder auf und schlossen dabei Freundschaft mit den Rehen. "Sie sind sehr zutraulich. Wir fütterten sie mit unseren Jausenbroten."

Der abgebrochene Daumen

Zum 30-Jahr-Jubiläum der Grottenbahn traf sich die Gruppe um Friederike Stolz noch einmal auf dem Pöstlingberg. Gemeinsam besichtigten sie die Grottenbahn und tauschten Erinnerungen aus. Gertrud Bauer arbeitete auch nach der Eröffnung noch weiter für die Grottenbahn. Sie machte kleine Ausbesserungsarbeiten und frischte die Farben auf. "Der Zwerg, der vor dem Hotel auf einem Felsen sitzt und in Richtung Grottenbahn weist, dem brechen Kinder immer den Daumen ab. Fast jedes Jahr muss er erneuert werden." 1950 wurde die Grottenbahn wieder eröffnet und drei Jahre engster Zusammenarbeit fanden ein Ende. "Es war eine fröhliche Zeit, ich denke oft daran zurück. Wir lachten viel und gerne und an unseren Figuren haben wir selbst die größte Freude."